Mittwoch, 13. Mai 2015

Duzen oder nicht Duzen, das ist die Frage



Heute fand ich folgenden Tweet: 


Fast 2700mal ist dieser Tweet seit letzten September favorisiert worden. Das finde ich bemerkenswert, denn ich bin auf Twitter auch schon darauf hingewiesen worden, die Netiquette verlange, dass man sich hier duze. 


Vor einiger Zeit habe ich schon einmal was zu diesem Thema gebloggt, damals aber nur kurz, und aus Anlass eines Tweets von Tilo Jung, in dem er bekannt gab, dass ein geplantes Interview mit Wolfgang Thierse ausfallen müsse, da Herr Thierse sich nicht auf sein (Jungs) Geduze einlassen wolle. Wibke Ladwig antwortete darauf, sie sei überrascht, denn sie habe gedacht, ”Thierse sei da offener und entspannter“ http://elkasloan.blogspot.de/2013/09/lasst-mir-blo-herrn-thierse-in-ruhe.html


Auf Anfrage hat mich Tilo Jung damals informiert, Wolfgang Thierse sei in seiner Praxis bislang, also im Herbst 2013, der Einzige gewesen, der nicht per Du interviewt werden wollte. Auch das hat mich überrascht. 


Ausgehend von der Frage ”Duzen-oder-nicht“ kann man ja eine ganze Reihe von Themen abhandeln – Internet-bezogen oder nicht:

  • Die Kluft zwischen den Altersgruppen/Generationen
  • Der Wandel des Internets von der Nerd-Spielwiese zum Universalmedium, in dem sich die gesamte Gesellschaft widerspiegelt
  • Sprache als Spiegel der Gesellschaft
  • Die Frage, wie wir in dieser Gesellschaft miteinander umgehen
  • Einflüsse von außen auf die Sprache (jaja, die Anglizismen)
  • Äußere Einflüsse darauf wie wir miteinander umgehen
  • Und überhaupt der Wandel von allem und jedem in unserer Gesellschaft

Angeblich haben sich in der Zeit unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg die Studenten in Deutschland noch untereinander gesiezt, aber das hat sich dann schnell verflüchtigt und wir betrachten es heute als selbstverständlich, wenn sich junge Leute untereinander duzen. Entsprechend gehört es zur Initiation in den Erwachsenenstatus, dass man peu à peu von Erwachsenen gesiezt wird.


Wenn Menschen dann etwas älter werden – und ich meine über dreißig – und sie wollen aber noch nicht ganz wahrhaben, dass sie jetzt in eine andere Lebensphase eintreten, dann gehen sie gern mal irgendwohin wo sie glauben, dass man es nicht merkt, dass sie schon etwas älter sind. Und dann duzen sie alle um sich herum, und irgendwann merken sie, dass gar keiner mehr um sie herum steht, weil die anderen, die jüngeren, gemerkt haben: hier will sich einer anbiedern. 


Die Zeit, in der sich das Anredeverhalten junger Leute untereinander gewandelt hat, war auch die Zeit, in der sich das Land (ich bin Wessi und meine die alte BRD) von einer autoritär, hierarchisch und klerikal geprägten Gesellschaft zu einer offenen, liberalen Gesellschaft gewandelt hat. Aber auch wenn man sich heute unter Fremden vielleicht schneller duzt als in den 50-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, ist doch das ”Sie“ keineswegs abgeschafft. Bei unseren nordischen Nachbarn ist es etwas schneller gegangen – in den 70-er Jahren war es in Schweden üblich mit der Begrüßung zu indizieren, ob man Wert auf eine ”Sie“-Anrede legte, oder ob ”du“ ok war, und inzwischen sagt dort keiner mehr ”Sie“. Ich bin ziemlich sicher, dass das bei uns auch irgendwann mal so sein wird, doch genauso sicher bin ich, dass das hier und heute noch nicht der Fall ist.

Am blödesten in dem Zusammenhang finde ich ja den Hinweis auf irgendeine Netikette. Mit dem ganzen Internet ist auch der Begriff Netikette oder Netiquette über den Atlantik zu uns geschwappt und wie so vieles was über den Atlantik schwappt, wird es gar nicht oder nur halb verstanden und/ oder völlig entstellt übernommen. 


So wie das Wort Netiquette in den Vorläufern unserer Sozialen Medien gemeint war, bedeutete es das, womit wir noch heute ringen: Dass die Gepflogenheiten des zivilisierten Umgangs miteinander doch bitte nicht plötzlich außer Kraft sind, bloß weil wir uns nicht gegenübersitzen und über ein Medium miteinander kommunizieren. Es bedeutete also, einen gewissen höflichen Abstand zu wahren und sich auch weiterhin als Menschen und Bürger zu respektieren. Übertragen auf das Thema Duzen/Siezen interpretiere ich das als ”im Zweifel wird gesiezt“. 


In Zeiten, als ich mich als Sprachcoach betätigte, habe ich immer als erstes versucht, meinen Lernenden klarzumachen, dass WEDER die Einheitsanrede im Englischen, NOCH die Tatsache, dass sich Alle beim Vornamen anreden, zu bedeuten haben, dass die Alle ”per du“ sind. Man muss da auf die Zwischentöne hören, um abzuschätzen, welchen Grad der Vertraulichkeit man voraussetzen darf und welchen nicht. Linguisten nennen sowas Subtext, Soziologen sprechen von para-Sozialität.


Nicht zuletzt wegen dieser fehlenden Genauigkeit im alltäglichen Umgang außerhalb der unmittelbaren Familie haben Deutsche oft so große Probleme mit der englischen Sprache. Sie beherrschen die Sprache, aber sie sind unfähig, sich den Subtext anzueignen. Wir habens halt doch noch gern ein bisschen formell, wenn wir jemanden nicht kennen. Ich finde das Siezen steht uns ganz gut zu Gesicht, und wir sollten es nicht einer falsch verstandenen Globalisierungseuphorie opfern. Gerade in der globalisierten Welt ist Höflichkeit und freundliche Distanz kein schlechter Ratgeber. Damit meine ich natürlich nicht, dass Duzen notwendigerweise unhöflich ist, aber ich meine durchaus, dass es manchmal ein bisschen übergriffig sein kann. 


Ganz schlimm finde ich es, wenn ich als potenzieller Kunde geduzt werde. Wie kommen die dazu – die wollen mein Geld, die haben mir respektvoll gegenüberzutreten. Ich sehe die unterschiedlichen Ansprachen, die wir im Deutschen haben als Möglichkeit, Heranwachsenden klarzumachen, dass man sich Leuten, die einem ans Geld wollen, nur vosichtig nähern sollte. Jugendliche müssen lernen mit Geld umzugehen und einzuschätzen, welcher Kauf sich lohnt und welcher nicht. Heute leben wir alle in der totalen Kommerzwelt, und die Jugendlichen haben es viel, viel schwerer als alle Generationen vor ihnen. Und es passiert was ganz Komisches: In einem Laden freut man sich, dass man gesiezt, d.h. ernst genommen wird und gibt vielleicht deswegen zu viel Geld aus, aber der/die selbe Jugendliche, der/die eben noch im Laden stolzgeschwellt seine/ihre Transaktion per Sie durchgezogen hat, freut sich im nächsten Moment über eine tolle Webseite, wo man sich duzend auf Jugendliche eingestellt hat und ”holt sich“, was er/sie sich eigentlich nicht leisten kann. 


Es gibt also auch bei uns Subtexte und vertrackte parasoziale Beziehungen, und nicht Alles lässt sich einfach durch die unterschiedliche Anrede regeln. In der Anonymität des Internets finde ich es sehr nützlich, dass man durch eine formelle Anrede, Höflichkeit, oder wie immer man es nennen möchte, Distanz halten kann und so anderen denselben Respekt erweisen kann, den man selbst erwartet.